Backward Interview in Der Standard (Vienna)

Frequently Unasked Questions

Published in German translation in Der Standard on January 20, 2011.

This interview was conducted by seminar participants at the Institute for Comparative Literature at the University of Vienna. The seminar sent me a series of answers, all quotatons from my work, and asked me to write questions following each answer.

Answer: Xo.
Question: What is the smallest unit of meaning? Is it a phoneme – the minutest sound you hear as a separate entity? Or is the whole language the smallest unit?

A: Ideas are dead except in use.
Q: What do you think about the abstract nouns of literary theory, politics, theology, and philosophy: construction and transcendence, being and forgiveness, dialectic and possibility, freedom and ecstasy, materiality and affect, melancholy and citizenship, nation and notion, bewilderment and wilderness, democracy and framing?

A: At its most effective, the university is not oriented toward marketplace discipline and employment training, but rather toward maximizing the capacity for reflection and creativity. When it is most fully achieving its potential, university classes are not goal-oriented or preprofessional but self-defining and exploratory. Attempts to regulate the university according to market values only pervert what is best and least accountable about these cultural spaces. We cannot make education more efficient without making it more deficient.
Q: You started teaching late in life, when you were 40. What do you most value about the American university and what are your greatest fears about its future?

 A: Exenst aerodole – extremst Autodrom! (laughs)
Q: Let me follow-up on that. What are the limits of critical discourse in the university? Some say anything goes, but you are often critical of constraints on the culture of critical discourse.

A: More important is a willingness to consider the implausible, to try out alternative ways of thinking, to listen to the way language sounds before trying to figure out what it means, to lose yourself in a flurry of syllables and regain your bearings in dimensions otherwise imagined as out of reach, to hear how poems work to delight, inform, redress, lament, extol, oppose, renew, rhapsodize, imagine, foment …
Q: What about making your meaning clearer, about getting across a message, about communicating, about being accessible, about saying just exactly what you feel?

 A: jed jimmsy’s cack. ib giben durrs urk klurpf. ig ooburs quwate ag blurg.
Q: Are you a Jewish poet? You have written a libretto, Shadowtime, for Brian Ferneyhough, which is about Walter Benjamin. Is this written from a Jewish point of view? You write in your essay in Radical Poetics and Secular Jewish Practice that you feel you are, by necessity, continuing the work of the nonreligous European Jewish culture obliterated by the Systematic Extermination Process of the Second World War. But isn't that all past and gone? Can't we put all that behind us?

 A: Marvelous influidities.
Q: Do you like Austrian food?

 A: When a text is dressed in the costume of poetry, that, in and of itself, is a provocation to consider these basic questions of language, meaning, and art. Chronic poetic aporia (CPA).
Q: Is there no way to escape artifice? What about natural language and direct statement? Do you prefer a hall of mirrors to the sublime majesty of a mountain pass at dawn, fog burning off the vistas like angels going home? 

A: Bernstein. Sternbein. I.
Q: What's in a name? Are we there yet? Do you ever mistake a tree for the forrest? Bitter tears for joy? Bitte for please?  Bernstein for amber?

A: Vienna.
Q: Come again?

 A: Let the poem mutate into fruition. Poetry scares me.
Q: What advise do you have for young poets?

 A: Only the imaginary is real. Only the real is real. These lines refuse reality
Q: What is truth?

A: Thanks for your of already some weeks ago.
Q: In retrospect, do you think moving to a single European currency was wise? Why is L=A=N=G=U=A=G=E poetry so influential in Burma? Do you value politeness in e-mail correspondence? What is the question again?

 © 2012 Charles Bernstein


Der Standard, Vienna

Frequently Unasked Questions

Interview | 20. Jänner 2012 18:55
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    Foto: Vom Autor zur Verfügung gestellt

    Charles Bernstein unterrichtet Poesie als Fremdsprache: "I'm here strictly on business, literary business." Am 26. Jänner tritt Bernstein im literarischen Quartier Alte Schmiede auf.

Ein Interview der etwas anderen Art mit dem US-amerikanischen Lyriker und Herausgeber von L=A=N=G=U=A=G=E Charles Bernstein

In folgendem Gespräch wird das übliche Frage-Antwort-Spiel umgekehrt und zu einem Antwort-Frage-Spiel. Charles Bernstein wurde gebeten, zu Zitaten aus seinen Texten Fragen zu stellen. Sein umfangreiches, bisher nicht übersetztes Werk befasst sich auf ebenso ironische wie politische und chaotische Weise mit den Unwägbarkeiten aller Bedeutungen

Antwort Bernstein: Xo.

Frage Bernstein: Was ist der kleinste Sinn-Baustein? Ein Fonem - der winzigste Laut, den man als eigenständige Einheit hören kann? Oder ist die Sprache in ihrer Gesamtheit der kleinste Baustein?

Antwort Bernstein: Ideen sind tot, außer im Spiel.

Frage Bernstein: Was denken Sie über die abstrakten Begriffe der Politik, Theologie, Philosophie und Literaturtheorie: Konstruktion und Transzendenz, Sein und Vergeben, Dialektik und Möglichkeit, Freiheit und Rausch, Materialität und Affekt, Melancholie und Staatsbürgertum, Nation und Gedanke, Verwirrung und Wildnis, Demokratie und Begrenzung?

Bernstein: Die beste Universität ist diejenige, die nicht am Markt und an der Berufsausbildung ausgerichtet ist, sondern an der Maximierung der Reflexionsfähigkeit und Kreativität. Das Potenzial im Unterricht kann dann am besten ausgeschöpft werden, wenn dieser nicht zielorientiert oder berufsvorbereitend ist, sondern Raum schafft für die Entfaltung und Erkundung des eigenen Denkens. Alle Versuche, die Universität an Marktwerten auszurichten, pervertieren nur das Gute und am wenigsten Messbare dieser kulturellen Freiräume. Wir können Bildung nicht wirkungsvoller machen, ohne sie wirkungsloser zu machen.

Frage Bernstein: Sie haben erst spät, im Alter von vierzig Jahren, mit dem Unterrichten begonnen. Was schätzen Sie an den amerikanischen Universitäten am meisten, und was sind Ihre größten Befürchtungen hinsichtlich deren Zukunft?

Bernstein: Exenst aerodole - extremst Autodrom! (Lacht.)

Frage Bernstein: Lassen Sie mich das noch weiter ausführen. Wo verlaufen die Grenzen des kritischen Diskurses an den Universitäten? Manche behaupten, alles sei erlaubt, aber Sie kritisieren oft die Beschränkungen, die der Kultur des kritischen Diskurses auferlegt werden.

Bernstein: Wichtiger ist die Bereitschaft, sich mit dem Unplausiblen auseinandersetzten, alternative Wege des Denkens auszuprobieren, dem Klang von Sprache zuzuhören, bevor man den Sinn zu entschlüsseln versucht, sich in einem Gestöber von Silben zu verlieren und so in unerreichbar geglaubten Dimensionen Orientierung zu finden, zu hören, was Gedichte tun, um zu erfreuen, bilden, überwinden, klagen, preisen, widersprechen, erneuern, schwärmen, fantasieren und anzustiften ...

Frage Bernstein: Wie wäre es mit mehr Klarheit, einer verständlichen Botschaft, mit Kommunikation, Zugänglichkeit, einfach zu sagen, was man fühlt?

Bernstein: jed jimmsy's cack. ib giben durrs urk klurpf. ig ooburs quwate ag blurg.

Frage Bernstein: Sind Sie ein jüdischer Dichter? Für Brian Ferneyhough haben Sie ein Libretto über Walter Benjamin geschrieben, "Shadowtime" (Schattenzeit). Ist das aus einer jüdischen Perspektive geschrieben? In einem Aufsatz in der Zeitschrift "Radical Poetics and Secular Jewish Practice" schreiben Sie, dass Sie sich verpflichtet fühlen, die Arbeit nichtreligiöser europäischer jüdischer Kultur weiterzuführen, die im systematischen Vernichtungsprozess des Zweiten Weltkriegs ausgelöscht wurde. Aber ist das nicht alles längst Vergangenheit? Können wir das nicht hinter uns lassen?

Bernstein: Grandiose Verstopfungen.

Frage Bernstein: Wie finden Sie die österreichische Küche?

Bernstein: Wenn ein Text in ein Gedicht-Kostüm gesteckt wird, dann ist das an und für sich eine Provokation, die grundlegenden Fragen zu Sprache, Sinn und Kunst zu betrachten. Chronische Poetische Aporie (CPA).

Frage Bernstein: Gibt es keinen Weg, der Künstlichkeit zu entkommen? Wie wäre es mit natürlicher Sprache und direkten Aussagen? Was ist Ihnen lieber, ein Saal voller Spiegel oder die erhabene Majestät eines in der Morgendämmerung verschwindenden Berges, wenn Nebelschwaden den Anblick wegbrennen wie heimkehrende Engel?

Bernstein: Bernstein. Sternbein. Ich.

Frage Bernstein: Was ist ein Name? Sind wir schon da? Verwechseln Sie manchmal einen Baum mit einem Wald? Bittere Tränen mit Freude? Bitte mit "please"? Bernstein mit "Bernstein"?

Bernstein: Vienna.

Frage Bernstein: Wienbitte?

Bernstein: Lasst das Gedicht sich erfüllen. Dichtung macht mir Angst.

Frage Bernstein: Was raten Sie jungen Dichterinnen und Dichtern?

Bernstein: Nur das Imaginäre ist wirklich. Nur das Wirkliche ist wirklich. Diese Zeilen verweigern die Wirklichkeit.

Frage Bernstein: Was ist Wahrheit?

Bernstein: Danke für Ihr von schon ein paar Wochen her.

Frage Bernstein: Rückblickend betrachtet, glauben Sie, dass die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung klug war? Warum ist L=A=N= G=U=A=G=E poetry gerade in Burma so einflussreich? Schätzen Sie Höflichkeit im E-Mail-Verkehr? Was war nochmal die Frage? (DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 21./22. Jänner 2012)

Hinweis: Das Gespräch wurde geführt von den Teilnehmern des Konservatoriums zu Charles Bernstein am Institut für Komparatistik an der Universität Wien. Charles Bernstein liest am Donnerstag, den 26. Jänner, um 18 Uhr in der Alten Schmiede - Literarisches Quartier, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien.

Begleitet und befragt wird er von seinen studentischen Übersetzerinnen und Übersetzern.